Die schweren Unwetter vom 2. Juni 1903
Kurzfassung:
Zahlreiche starke Gewitter in weiten Teilen von Deutschland. Besonders herausragend sind verheerende Hochwasserschäden u.a. im Rheinland nahe Bonn. Die Gewitterwirkungen sind punktuell außerordentlich intensiv und zeigen eine bemerkenswerte geographische Verteilung. Mindestens zehn Menschen kommen ums Leben: Neun Personen werden von Blitzschlägen getötet, ein kleines Kind stirbt in einem gewitterbedingten Hochwasser.
Beschreibung:
Die örtlich sehr schweren Gewitter verursachen lokal zerstörerische Schäden durch Starkegen und Hagelschlag, daneben treten viele Blitzschäden auf. Wegen der geringen Verlagerungsgeschwindigkeit der Gewitter spielen Windschäden hingegen so gut wie keine Rolle. Insbesondere das Rheinland wird von einer verheerenden Hochwasserkatastrophe betroffen,
Die Wetterlage am Mittag des 2. Juni 1903 (13 Uhr GMT) sieht folgendermaßen aus:

(Ausschnitt aus: Synoptic Weather Map Northern Hemisphere, June 2, 1903, Quelle: NOAA)
Mitteleuropa liegt genau an der Grenze zwischen warmer Luft im Osten und Süden des Kontinents und kühlerer Luft im Westen und Norden. Mit einer Kaltfront hat sich im westlichen und nördlichen Deutschland diese kühlere Luft bereits durchgesetzt. Die Vordergrenze dieser Luft wird durch eine Kaltfront markiert, die seit dem Vortag von der nördlichen Nordsee herangezogen war und jetzt südostwärts über Deutschland hinwegzieht. Allerdings geht der Einbruch der kühleren Luft nur langsam und teilweise verzögert vor sich. Darauf deutet eine Wellenentwicklung entlang des Frontenzugs hin, der sich am 2. Juni 1903 mittags etwa über dem Rheinland befindet, also genau über der Region, in der die stärksten Hochwasserschäden auftreten.
Die Gewitter treten zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher räumlicher Verteilung auf. Ein Teil dürfte sich an oder vor der Kaltfront entwickeln. Der Teil der Gewitter, die in Süddeutschland vorkommen, bilden sich wohl sämtlich in der feuchtwarmen Luft vor der Kaltfront. Andererseits deutet die Wellenentwicklung an der Kaltfront und die Tatsache, dass einige der schwersten Gewitter sich erst nach(!) Einsetzen eines kühlen Windes aus Nordwest bis Nord aufbauen, auf sogenannte Warmlufteinschubgewitter hin. Solche Gewitter sind häufig aufgrund ihrer oft geringen Verlagerungsgeschwindigkeit im Bereich von frontalen Wellen bekannt für extreme Niederschläge und entsprechende Hochwasserschäden.
Süring hat in den Ergebnissen der Gewitter-Beobachtungen in den Jahren 1903, 1904 und 1905 (ab S. XIII) diesem Gewittertag bereits eine Untersuchung gewidmet und einzelne Gewitterzüge herausgearbeitet. Demnach kommt es im Vorfeld bzw. an der südostwärts ziehenden Kaltfront schon in den Morgenstunden im Nordseeküstenbereich zu ersten Gewittern, die sich anschließend ost- bis südostwärts bewegen, allmählich häufiger und stärker werden. Ab dem späten Vormittag treten hier stellenweise schon starke Regengüsse auf, teils vermischt mit Hagelschlag, so u.a. in der Region Lüneburg.
Auch weiter südwestlich im Bereich der frontalen Welle werden schon vormittags Gewittererscheinungen beobachtet, die örtlich stark ausfallen, ebenso wie generell in der warmen Luft südlich der Front, hauptsächlich im südwestlichen Deutschland. Im Schwarzwald kommt es bereits am späten Vormittag zu lokal erheblichem Hagelschlag. Diese teils starken Gewitter breiten sich dann langsam nord- bis ostwärts aus und bringen stellenweise weitere Schäden, so u.a. in der Region Schefflenz im Bereich Neckartal-Odenwald, wo in der Mittagszeit Hagel bis Hühnereigröße auftritt.
Im Rheinland und weiter östlich besitzen die entstehenden Gewitter jedoch insgesamt eine Verlagerungstendenz in östliche bzw. südliche Richtungen. Ganz bemerkenswert ist dabei manchen Beobachtungen zu entnehmen, dass dort in einigen Regionen zunächst kühle Nordluft mit stundenlangem Hochnebel vorherrscht und - nach dem Auflösen des Grauschleiers - sich sofort eine vollkommen gegensätzliche Witterung einstellt: Riesige Cumulonimben entwickeln sich und bringen ab dem späten Vormittag erste starke Gewitter, so u.a. westlich von Bonn oder auch im Sauerland, wo mittags im Bereich von Kirchhundem (im heutigen Kreis Olpe) Starkregen und Hagel niedergehen und durch die Wassermassen auch Brücken mitgerissen werden und erhebliche Schäden entstehen. In Kirchveischede fallen (in 5 Stunden) 87,1 Liter Regen auf den Quadratmeter.
Die Vormittags- und Mittagsgewitter verschmelzen gerade im Rheinland mit der (nach Süring) nachfolgenden zweiten Gewitterwelle, die ab dem frühen Nachmittag ausschlaggebend ist. So lebt dort im Bereich Bonn / Siegburg die Gewittertätigkeit ab etwa 13 Uhr ganz enorm auf. Wiederholte Zellenbildung sowie orographische Hebung dürften als verstärkende Faktoren dazukommen, und all das führt zur Unwetterkatastrophe im Siebengebirge. Dort gehen am frühen Nachmittag ganz erhebliche Wassermassen nieder. Von vielen Beobachtern wird die große Dunkelheit beschrieben, die bei den Gewittern herrscht. Ein Zeichen für die sehr intensive Vertikalbewegung und die große Wolkenmächtigkeit, die bei diesen Gewittern im Rheinland auftritt. Schwerpunkt der Wolkenbrüche sind Königswinter, Oberdollendorf sowie die Bereiche entlang der aus dem Siebengebirge in die Sieg nordwärts entwässernden Bäche. Hier entstehen am frühen Nachmittag verheerende Schäden durch die Wassermassen, die teilweise meterhoch durch die Ortschaften strömen. Häuser und Brücken werden weggerissen, in Oelinghoven ertrinkt ein Säugling. Das Mirbesbachtal östlich von Königswinter wird durch die Wassermassen teilweise umgestaltet.
Ganz enorm sind die gemessenen Niederschlagsmengen: In Königswinter fallen in 3,5 Stunden 131,5 Liter Regen, in Siegburg in der gleichen Zeit 100,3 Liter, Bad Honnef meldet noch 93,7 Liter (Ergebnisse der Niederschlagsbeobachtungen im Jahre 1903).
Dem Virtuellen Brückenhofmuseum (in Oberdollendorf) sind weitere Einzelheiten dieser Unwetterkatastrophe im Siebengebirge zu entnehmen.
Zu weiteren teils starken Unwetterschäden kommt es in den Nachmittagsstunden zwischen dem Sauerland und der Region südlich von Hannover. Dabei erscheinen die Schadenszentren auf der Karte wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Die Regionen Meschede, Rüthen, Kirchborchen (bei Paderborn) sind genauso betroffen wie Blomberg sowie ein Streifen zwischen Hessisch Oldendorf und Hildesheim, in dem es zu erheblichen Hagel- und Wasserschäden kommt. Zwischen den einzelnen Gewittern sind wiederum Regionen eingeschaltet, in denen es nahezu trocken bleibt.
Am späteren Nachmittag kommt es schließlich noch in der Eifel im Bereich südlich von Bad Münstereifel zu heftigen Wolkenbrüchen. Auch hier werden verheerende Wasserschäden verursacht, Vieh ertrinkt, möglicherweise gibt es auch Gebäudeschäden. Im Vergleich zu der Katastrophe im Siebengebirge erlangt dieses Unwetterereignis jedoch keine überregionale Bedeutung.
In der nachfolgenden navigierbaren Karte sind alle Schäden eingetragen, die an diesem denkwürdigen 2. Juni 1903 in Deutschland und Österreich aufgetreten sind (Mausklick auf die Icons liefert weitere Informationen):
Zusammengestellt mit Material aus den Sammlungen des Deutschen Wetterdienstes:
Süring, R.: Die Gewitter vom 2. Juni 1903, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen zu stärkeren Niederschlägen und Hagelfällen.
In: Ergebnisse der Gewitter-Beobachtungen : im Jahre .. : (1903-1905).
Schwalbe, G.: Die starken Niederschläge vom 2. Juni 1903 in der Provinz Rheinland.
In: Ergebnisse der Niederschlags-Beobachtungen : im Jahre ... : (1903).
Verschiedene Berichte von Wetterbeobachtungen bei den Gewittern in: Das Wetter 20 (1903), 141-144.
(Text und Bild, alle Rechte: Dr. Martin Gudd)